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Kirchengesetz,
betreffend die kirchliche Aufsicht über die Vermögensverwaltung der Kirchengemeinden

Vom 18. Juli 1892

(KGVBl. 1893 S. 9)

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc., verordnen unter Zustimmung der Generalsynode und nachdem durch Erklärung Unseres Staatsministeriums festgestellt worden, daß gegen dieses Gesetz von Staatswegen nichts zu erinnern ist, für die evangelische Landeskirche der älteren Provinzen, was folgt:
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§ 1

Die Beschlüsse der kirchlichen Gemeindeorgane in Vermögensangelegenheiten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung der kirchlichen Aufsichtsbehörde in folgenden Fällen:
  1. bei dem Erwerbe, der Veräußerung oder der dinglichen Belastung von Grundeigentum, soweit der Erwerb nicht im Falle einer Zwangsversteigerung zur Sicherung in das Grundbuch eingetragener kirchlicher Forderungen notwendig ist;
  2. bei der Veräußerung von Gegenständen, welche einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwert haben;
  3. bei Anleihen, soweit sie nicht bloß zu vorübergehender Aushilfe dienen und aus den laufenden Einnahmen derselben Voranschlagsperiode zurückerstattet werden können;
  4. bei der Einführung und Veränderung von Gebührentaxen;
  5. bei einer Verwendung des kirchlichen Vermögens zu anderen als den bestimmungsmäßigen Zwecken mit Ausnahme solcher Bewilligungen aus der Kirchenkasse an andere Gemeinden oder zur Unterstützung evangelischer Vereine und Anstalten, welche einzeln zwei Prozent und im Gesamtbetrage eines Voranschlagsjahres fünf Prozent der Solleinnahme nicht übersteigen;
  6. bei Einführung eines neuen und Abänderung des bestehenden Verteilungsfußes der Kirchenumlagen;
    1. bei Bewilligungen aus der Kirchenkasse zur dauernden Verbesserung des Einkommens der bestehenden Stellen für den Dienst der Gemeinde,
    2. bei dauernder Verminderung solcher auf der Kirchenkasse haftenden Bewilligungen,
    3. bei Auseinandersetzungen über das Vermögen vereinigter Kirchen- und Schulstellen,
    4. bei Verwandlung veränderlicher Einnahmen der Kirchenbeamten in feste Hebungen oder
    5. bei Umwandlung von Naturaleinkünften in Geldrente, letzteres, soweit nicht die Umwandlung in dem durch die Staatsgesetze geordneten Ablösungsverfahren erfolgt;
    1. bei Neubauten oder beim Abbruch vorhandener Gebäude,
    2. bei Reparaturen gottesdienstlicher Gebäude, wenn dadurch die bauliche Grundgestalt oder die künstlerische Ausstattung des Gebäudes geändert wird, und
    3. bei Reparaturen der für die Geistlichen oder andere Kirchendiener bestimmten Gebäude, sofern sie nicht im Einverständnis mit dem berechtigten Stelleninhaber erfolgen;
  7. bei Verpachtung und Vermietung von Kirchengrundstücken auf länger als zwölf Jahre, der Verpachtung oder Vermietung der den kirchlichen Beamten zur Nutzung oder zum Gebrauch überwiesenen Grundstücke über die Dienstzeit des jeweiligen Inhabers hinaus oder wenn ein Kirchengrundstück an eine an der kirchlichen Vermögensverwaltung oder an der Aufsicht darüber beteiligte Person verpachtet oder vermietet werden soll;
  8. bei Ausleihung kirchlicher Gelder auf Hypothek oder Grundschuld,
    1. wenn das Kapital 1000 Mark übersteigt oder
    2. nicht zu erster Sicherheit oder
    3. an eine an der kirchlichen Vermögensverwaltung oder an der Aufsicht darüber beteiligte Person ausgeliehen werden soll;
  9. bei Verwendung von Kapitalbeständen für laufende Bedürfnisse;
  10. bei außerordentlichen Ausgaben, welche den von der kirchlichen Aufsichtsbehörde für die Kirchengemeinde festgesetzten Betrag übersteigen.
    Ausgaben sind außerordentliche im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie weder zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung notwendig, noch schon bisher nach bestimmten, von der Aufsichtsbehörde ausdrücklich oder stillschweigend gebilligten Grundsätzen geleistet sind.
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§ 2

Alle Bestimmungen, nach denen es zu den Geschäften der kirchlichen Vermögensverwaltung in anderen als den in § 1 genannten Fällen einer Genehmigung der kirchlichen Aufsichtsbehörde bedarf, treten außer Kraft.
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§ 3

Die Festsetzung des Zeitpunkts, mit welchem dieses Gesetz in Geltung tritt, bleibt Königlicher Verordnung vorbehalten.1#
Durch Königliche Verordnung wird gleichfalls bestimmt, in welchem der in § 1 erwähnten Fälle das Recht der Genehmigung von dem Evangelischen Oberkirchenrate2# oder dem Konsistorium auszuüben ist, und unter welchen Voraussetzungen es gestattet sein soll, das Genehmigungsrecht der Aufsichtsbehörde auf synodale Organe zu übertragen.
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§ 4

Die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz bleiben von den Vorschriften dieses Gesetzes zunächstausgenommen. Die Einführung des Gesetzes in diesen Provinzen erfolgt, sobald dessen Annahme von den beiden Provinzialsynoden oder von einer derselben beschlossen wird, durch kirchliche, vom Landesherrn zu erlassende Verordnung, welche in der dem § 6 der Generalsynodalordnung entsprechenden Form zu verkünden ist.

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1 ↑ Nach Artikel I der Allerhöchsten Verordnung wegen Ausführung des Kirchengesetzes vom 18. Juli 1892, betreffend die kirchliche Aufsicht über die Vermögensverwaltung der Kirchengemeinden, vom 8. März 1893 (KGVBl. S. 12) ist das Kirchengesetz für alle Kirchenprovinzen am 1. April 1893 in Kraft getreten.
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2 ↑ Nach Artikel 2 Abs. 2 der Grundordnung der Union Evangelischer Kirchen ist die Evangelische Kirche im Rheinland selbstständige Gliedkirche der Evangelischen Kirche der Union, der somit keinerlei Aufsichtsbefugnisse mehr zukommen.